Wolfen bei Bitterfeld – wo einst die Welt in Farbe aufblühte

Zwischen Plattenbauten, verblichenen Logos und ehrwürdig rostenden Hallen aus den goldenen 20ern blitzt hie und da renovierte Industriearchitektur hervor – wie ein frisch geputzter Trabant zwischen lauter alten Wartburgs. Im Museum glänzen die Originalmaschinen, als warteten sie nur darauf, dass die nächste Brigade zur Frühschicht erscheint.
Kaum zu glauben, aber hier – mitten im Chemiedreieck – wurde einst Weltgeschichte geschrieben. 1936, Agfa Wolfen, ein Name wie ein Donnerhall! Der erste große Durchbruch bei der Farbfilmproduktion: „Agfacolor Neu“ – der Farbfilm für jedermann. Ein echter Paukenschlag, der Wolfen auf die Landkarte der Welt brachte. 1909 noch auf die sprichwörtliche grüne Wiese gesetzt, wurde die Filmfabrik bald zur größten Europas – Hollywood made in Sachsen-Anhalt, sozusagen.
Zu DDR-Zeiten stampften hier 15.000 Werktätige – 80 Prozent davon Frauen, versteht sich, schließlich war Gleichberechtigung hier keine Parole, sondern Alltag – Tag für Tag Produkte aus dem Ärmel: Farbfilme, Schwarz-Weiß-Streifen, Musikkassetten, Röntgenfilme, Wurstdärme und sogar eine eigene Kantinencola. Ein echter Volkseigener Tausendsassa!
1964 bekam das Ganze dann einen neuen, griffigen Namen: ORWO – Original Wolfen. Und der sollte in die Welt hinaus. Die DDR ließ sich nicht lumpen: 36 Millionen Valutamark wurden in Werbung investiert – man wollte schließlich zeigen, dass man nicht nur in Leipzig, sondern auch in Mexico City Bandenwerbung machen konnte. Und tatsächlich: Beim WM-Finale 1970 prangte ORWO neben Pelé & Co. auf 30 Metern Werbefläche. Geld spielte offenbar keine Rolle – Planerfüllung schon eher.
Die Geschäfte liefen – na ja – solide. Aber die große Filmromanze blieb aus. Neue Entwicklungen? Schwierig, wenn jede Idee erst durchs Planwirtschafts-Korsett musste. Und so rollte der letzte Farbfilm langsam aus dem Projektor.
Als 1989 die Mauer fiel, keimte Hoffnung: neue Zeiten, neue Chancen, neue Ideen. Der Werbeleiter Lothar Schwarz startete 1991 sogar die erste Werbekampagne eines Ostbetriebs überhaupt – mit dem herrlich selbstbewussten Slogan: „Ein scharfes Stück Film aus Sachsen-Anhalt.“ Neue Verpackungen, neue Farben, neue Träume. Nur – kein neuer Investor.
1992 fiel der letzte Vorhang. Die Fabrik verschwand, Stück für Stück. Was bleibt, ist Erinnerung – an Glanz, an Geruch von Entwicklerflüssigkeit und an eine Zeit, in der Wolfen die Welt ein Stück bunter machte.


Ein Besuch im Industrie- und Filmmuseum Wolfen lohnt sich auf jeden Fall.